Der Fall Heine
An Marcel Reich- Ranicki, nach wie vor gerne als Literaturpapst bezeichnet, scheiden sich die
Geister. Er wird hoch gelobt und viel gerühmt, aber oft genug wurde er geschmäht, kritisiert, wegen
seiner streitlustigen Unbestechlichkeit abgelehnt und gefürchtet.Dieser ungemein kenntnisreiche
und überaus fleißige Literaturkenner hat sich für seine Essays und literaturhistorischen
Betrachtungen immer wieder einen Autor ausgesucht, dem es zu seinen Lebzeiten teilweise so ging
wie ihm selbst. Heinrich Heine, Dichter und Verseschmied auf der einen Seite, aber eben auch
Provokateur und ewiger Ruhestörer.
Das, was Marcel Reich- Ranicki im Klappentext des gut 100 Seiten starken Buches über Heinrich
Heine schreibt, könnte genauso eine Selbstbeschreibung sein. "Er traf die schmerzhaftesten
Wunden seiner Zeitgenossen, er kämpfte tatsächlich mit offenem Visier. Er ging ins Exil, um nie in
Deckung gehen zu müssen".
Reich- Ranicki würdigt Heinrich Heine in diesem Buch, das bereits 1998 in der 4. Auflage vorgelegt
wurde, als den Neurer in der deutschen Dichtung, als den Poeten, der nicht nur zu den
berühmtesten Dichtern unter den Journalisten wurde, sondern dem es gelang, Weltliteratur in
deutscher Sprache zu schaffen. Ihm glückte die Überwindung der Kluft zwischen Poesie und Leben.
Der Romantiker Heine modernisierte und verschlankte die Sprache, er witzelte und spottete mit ihr,
er ließ Ironie aufblitzen und tiefes, warmes Gefühl und Sehnen. Bei aller wohlklingenden Anbetung
für die blaue Blume und die ferne Geliebte, gelang es Heine, moderne Stadtlandschaften in seinen
Gedichten Raum zu geben. Mit Pathos und mit Sentimentalität, mit Humor und Spott hat Heine
seine Verse geschmiedet und hat mit seinem Werk den Fall Heine postuliert. An ihm beißen sich die
Bürokraten die Zähne aus, er dient den Antisemiten als dankbare Zielscheibe für ihre Vorurteile, er
wird- je nach Standpunkt in den literarischen Himmel gehoben oder abschätzend auf ein Mittelmaß
der Volkstümlichkeit reduziert.
Marcel Reich- Ranicki, nicht nur Kenner, sondern eben auch Bewunderer und Freund der Verse von
Heine, beleuchtet in verschiedenen Essays die vielschichtigen Sichtweisen auf dieses literarische
Genie.
Klug, treffend formuliert sind die einzelnen Kapitel, facettenreich der Blick auf diesen großen
Dichter, umfänglich ist die Bibliographie und dieser kleine nun wieder aufgelegte Band von Marcel
Reich- Ranicki zeigt seine hoch entwickelte Kunst am Formulieren vor allem aber weckt der Band
die Lust, den Heine einmal wieder selbst zu lesen, die Reisebilder, die kleinen Liebesgedichte, die
Geschichten aus der Matratzengruft und dann kann man es singen das alte Lied, das einst so wild
die Brust durchglüht.
"Die Engel nennen es Himmelfreund,
Die Teufel, die nennen es Höllenleid
Die Menschen die nennen es Liebe!"
Redakteurin: Irmela Körner